Finde deine Stimme: Warum fotografische Identität von innen kommt

Wer bin ich als Fotograf – und was macht meine Arbeit wirklich aus? Diese Fragen beschäftigen früher oder später jeden, der sich ernsthaft mit Fotografie auseinandersetzt. In einer Zeit, in der Tutorials, Tools und Trends omnipräsent sind, liegt der Fokus oft auf dem Äußeren: Technik, Stil, Format. Doch echte fotografische Identität entsteht anders. Sie beginnt innen. In diesem Artikel erfährst du, warum dein persönliches „Warum“ wichtiger ist als jedes Preset – und wie du den Weg zu deiner ganz eigenen Stimme findest.

„Mit welcher Kamera hast du das gemacht?“

Diese Frage kennt jede:r, der regelmäßig fotografiert. Fast immer schwingt dabei die Annahme mit: Das Geheimnis starker Bilder liegt im Werkzeug. Doch wer länger mit der Kamera unterwegs ist, merkt schnell – und oft schmerzhaft –, dass Technik allein keine Geschichte erzählt. Sie kann ein Werkzeug der Klarheit oder der Verführung sein. Aber niemals der Ursprung von Bedeutung.

In Wahrheit beginnen gute Bilder nicht im Sucher, sondern in dir. In deiner Wahrnehmung. Deinen Erfahrungen. Deinen Fragen. Deinen Zweifeln.

„Fotografieren bedeutet, den Atem anzuhalten, wenn alle Fähigkeiten zusammenkommen, um die flüchtige Realität einzufangen.“Henri Cartier-Bresson

Emotionale Tiefe, Authentizität und Subjektivität sind keine Nebenprodukte – sondern essentielle Bestandteile visuellen Storytellings.

Der Reportagefotograf wird nicht zum Beobachter durch Technik, sondern durch Haltung, Nähe und Einfühlungsvermögen.

Die Falle der Form

In der heutigen Kreativkultur ist Form zur Währung geworden.

Scroll durch Instagram, TikTok oder Pinterest – und du siehst eine visuelle Hochglanzwelt, in der jede Szene perfekt komponiert, jede Farbpalette abgestimmt, jede Story ästhetisch inszeniert ist.

Die Aufmerksamkeit richtet sich auf:

  • welches Objektiv verwendet wurde,

  • welches Farbgrading den Look erzeugt hat,

  • welche Kamera „die beste“ ist,

  • oder wie man durch KI in Lightroom in fünf Minuten ein Portfolio-Bild zaubert.

Verlockend?

Auf jeden Fall. Aber auch gefährlich. Denn was leicht übersehen wird: Form ersetzt keine Geschichte.

Ein gutes Bild braucht kein auffälliges Bokeh oder Cinematic Colorgrading. Es braucht Substanz.

„Wenn das Bild gestochen scharf ist, aber keine Seele hat – was ist es dann wert?“

Diese rhetorische Frage stellen sich viele zu spät.

Doch spätestens beim Betrachten des eigenen Archivs wird klar: Die emotional bedeutenden Fotos sind selten die technisch perfekten. Sondern die, die einen Bezug zu einem Moment, einem Menschen, einer inneren Regung haben.

Vorsicht vor der Technikfalle

Wer nur über Brennweite, Dynamikumfang oder Schärfentiefe spricht, läuft Gefahr, seine Autorschaft aus der Hand zu geben. Denn Stil ist nicht gleich Stimme. Und Methode ersetzt kein Motiv.

Martin Parr, bekannt für seine oft skurrilen, überzeichneten Bilder des britischen Alltags, sagte einmal sinngemäß:

„Ich interessiere mich nicht für die Technik. Ich interessiere mich für Menschen. Für das, was sie tun, wie sie leben.“

Seine Kamera ist Mittel zum Zweck – und oft gerade deshalb so wirkungsvoll, weil sie nicht auffällt.

Parr fotografiert häufig mit Blitz und Weitwinkel, direkt, frontal – fast unangenehm nah. Das wirkt roh. Aber genau das passt zu seinem Blick auf die Welt. Er hat seine Form aus dem Inhalt heraus entwickelt.

Forschung & Psychologie

Der Wunsch nach perfekter Form hat auch psychologische Ursachen. Laut Studien zum „Imposter-Syndrom“ neigen kreative Menschen dazu, Unsicherheit durch Kontrolle zu kompensieren. Technik gibt Kontrolle. Wer sich innerlich unsicher fühlt, sucht Halt im Äußeren. Doch wahre Ausdruckskraft wächst nicht aus Kontrolle, sondern aus Zulassen.

Die Form ist nicht der Anfang. Sie ist das Echo deines Inneren.

Wenn du weißt, was du sagen willst, wird sich die passende Form finden.

Das Warum ist kein Luxus – es ist die Grundlage

In vielen kreativen Berufen – besonders in der Fotografie – wird das „Warum“ oft wie ein Bonus behandelt: schön zu haben, aber kein Muss. Doch genau das ist ein Denkfehler.

Dein Warum ist nicht das i-Tüpfelchen deiner fotografischen Arbeit. Es ist ihr Fundament.

„Je stärker dein persönlicher Bezug zu einem Thema ist, desto leidenschaftlicher wirst du dies auch in deinen Bildern umsetzen.“

Diese Aussage bringt es auf den Punkt: Die emotionale Verbindung zu einem Thema ist nicht nur Inspiration – sie ist der Treibstoff für Ausdauer, Tiefe und Authentizität. Wer fotografiert, weil er muss, weil ihn ein Thema nicht mehr loslässt, wird automatisch zu einer glaubwürdigen Stimme. Und genau das ist es, was Bilder kraftvoll macht.

Die Kraft des persönlichen Motivs

Alex Saltaren Castro, ein kolumbianischer Winzer, der im Rheingau sein eigenes Weingut aufbaut, ist der Protagonist einer Reportage in unserem Buch “Mit Bildern Geschichten erzählen”*.

Seine Geschichte ist nicht spektakulär im klassischen Sinn. Aber sie ist durchdrungen von Bedeutung: Heimat, Migration, kulturelle Identität, Rückbesinnung auf Traditionen – und eine Hommage an seine Großmutter „Edilia“.

Diese Motive machen seine Arbeit sichtbar und spürbar. Nicht, weil sie „gut erzählt“ ist, sondern weil sie echt ist. Die Kamera wird hier zum Werkzeug der Erinnerung und der Wertschätzung. Und genau das transportiert sich auf den/die Betrachter:in.

Die psychologische Dimension: Resonanz statt Reizüberflutung

In einer Welt, die visuell übersättigt ist, suchen Menschen nicht nach mehr Bildern – sondern nach Bildern, die etwas auslösen. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa spricht in seiner Resonanztheorie davon, dass wir in einer Welt voller äußerer Reize leben, aber innerlich oft leer bleiben. Das, was wirklich zählt, sind Momente der Resonanz – wenn uns etwas berührt, trifft, bewegt.

Frage dich: Welche Themen lösen in dir selbst Resonanz aus?

Nicht: Was kommt gut an?

Sondern: Was fühlt sich für dich echt an?

Es ist wichtig, Themen zu wählen, die dich selbst betreffen oder beschäftigen. Nur dann wirst du sie mit der nötigen Sensibilität, Tiefe und Beharrlichkeit verfolgen – auch wenn sie unbequem oder langwierig sind.

Denn Fotografie ist mehr als ein kurzer Moment des Auslösens. Sie ist oft ein langer Prozess der Annäherung: an Menschen, an Orte, an Fragen. Und dieser Weg lohnt sich nur, wenn du einen inneren Antrieb hast.

Reflexionsimpulse: Finde dein Warum

Diese Fragen helfen dir, deinem fotografischen „Warum“ näher zu kommen:

  • Welche Bilder in deinem Archiv lösen bei dir selbst heute noch etwas aus?

  • Gibt es Themen, die dich seit Jahren begleiten – ohne dass du sie je fotografiert hast?

  • Was würdest du dokumentieren, wenn niemand die Bilder je sehen würde?

  • Welche Ungerechtigkeiten, Schönheiten oder Zwischentöne in der Welt fordern geradezu danach, von dir festgehalten zu werden?

Diese Fragen ersetzen keine Ausrüstung – aber sie geben dir eine Richtung. Und sie sind der Beginn deiner eigenen fotografischen Erzählhaltung.

Dein Warum ist der unsichtbare Faden, der sich durch deine gesamte Bildwelt zieht. Wenn du ihn kennst, findest du Motive, die zu dir sprechen. Wenn du ihn suchst, bleibst du neugierig. Wenn du ihn verlierst, weißt du, wonach du suchen musst.

Vivian Maier – Das innere Drängen

Es gibt kaum eine Biografie, die die Kraft des inneren Drangs zur Fotografie so eindrücklich verkörpert wie die von Vivian Maier.

Jahrzehntelang arbeitete sie als Kindermädchen in verschiedenen Familien in Chicago und New York – unauffällig, introvertiert, fast unsichtbar. Doch in ihrer Freizeit zog sie mit ihrer Rolleiflex durch die Straßen und dokumentierte das Leben der Großstadt: mit einem Blick, der sensibel, humorvoll und gnadenlos scharf war.

Sie veröffentlichte zu Lebzeiten kein einziges Foto. Ihre Negative lagerte sie in Kisten und Koffern, viele davon wurden nie entwickelt. Erst nach ihrem Tod 2009 wurde ihr Werk zufällig entdeckt – und heute gilt sie als eine der bedeutendsten Streetfotografinnen des 20. Jahrhunderts.

Was Vivian Maier so besonders macht

Was bewegt jemanden, tausende von Fotografien zu machen, ohne je eine davon zu zeigen?

Die Antwort liegt vermutlich nicht in Selbstzweifeln oder mangelndem Ehrgeiz. Sondern in einem tiefen, inneren Impuls: Vivian Maier musste fotografieren. Nicht, um gesehen zu werden. Sondern um zu sehen. Ihre Kamera war kein Mittel zur Selbstdarstellung, sondern ein Werkzeug der Weltaneignung. Ihre Bilder sind voll von stiller Empathie, visuellem Witz, aber auch sozialer Beobachtung – von einer Person, die selbst am Rand der Gesellschaft stand.

„Your own humanity is reflected in your ability to see humanity in others.“ – sinngemäßes Echo in ihrer Arbeit

Ihr Werk erinnert daran, als Fundament dessen, was fotografischen Erzählhaltung gemeint ist:

Der persönliche Blick auf die Welt ist das Herz einer jeden fotografischen Stimme.

Autorschaft ist nicht daran gebunden, ob man veröffentlicht oder Anerkennung bekommt. Sondern daran, wie ehrlich und konsequent man seinen eigenen Blick verfolgt.

Entwickle eine eigene Erzählhaltung, die unabhängig von äußeren Trends und Plattformen Bestand hat.

Es geht um Authentizität, nicht um Stilkopien. Um innere Notwendigkeit statt äußerer Inszenierung.

Die Kamera kann ein Mittel sein, um das Leben bewusst zu gestalten und Erinnerungen mit Sinn aufzuladen.

Genau das hat Vivian Maier getan – ganz privat, ganz konsequent.

Ohne Likes, ohne Follower, aber mit einem unbestechlichen Gespür für das Wesentliche.

Was wir von Vivian Maier lernen können:

  • Dass fotografische Identität auch dann existiert, wenn niemand hinschaut.

  • Dass Ausdruck nicht immer eine Bühne braucht.

  • Und dass eine starke Bildsprache sich aus innerer Neugier nährt – nicht aus äußeren Zielen.

Vivian Maier ist keine Heldin im klassischen Sinn. Aber sie ist eine Mahnerin: Sie erinnert uns daran, dass wir nicht auf den perfekten Moment, das bessere Equipment oder die große Plattform warten sollten. Sondern dass die wichtigste Zutat schon da ist: unser Blick.

Die Kamera war für Vivian Maier ein stiller Komplize.

Ihre Bilder sind wie Tagebuchseiten – nicht für die Welt, sondern für sich selbst.

Vielleicht ist genau das der Ursprung echter fotografischer Identität: Wenn du fotografierst, weil du gar nicht anders kannst.

Die Gefahr der Vergleichbarkeit

In einer Welt, in der wir jederzeit auf unzählige Bilder zugreifen können, ist Inspiration nur einen Swipe entfernt. Das ist großartig – aber auch gefährlich. Denn schnell wird aus Inspiration ein Vergleich, und aus Vergleich ein Zweifel:

  • Bin ich gut genug?

  • Bin ich originell genug?

  • Warum sehen die Bilder anderer so viel besser aus als meine?

Das ist kein Einzelfall.

Es ist ein psychologisches Muster.

Studien der Verhaltenspsychologie zeigen, dass Social Media unsere Tendenz zur sozialen Vergleichbarkeit verstärkt – insbesondere bei Menschen, die in kreativen Berufen tätig sind. Statt uns an uns selbst zu messen, vergleichen wir uns mit den kuratierten Highlight-Reels anderer. Das Ergebnis: Selbstzweifel, kreative Blockaden, Identitätskrisen.

„Jeder zeigt seine besten fünf Prozent – und du selbst siehst bei dir auch die restlichen 95.“ – sinngemäße Erkenntnis vieler Kreativschaffender

Was das Buch dazu sagt

Richte den fotografischen Blick nach innen, statt ihn ständig mit äußeren Maßstäben abzugleichen:

„Verlier dich nicht in der Vielzahl von Optionen. Fokus ist der Schlüssel.“

Die Botschaft ist klar: Wer sich ständig fragt, wie andere etwas machen würden, verliert den Kontakt zur eigenen Wahrnehmung – und damit zur eigenen Authentizität.

Vergleich macht blind – für das Eigene

Das Problem mit Vergleichen ist nicht nur, dass sie uns klein machen. Sie machen uns auch blind für das, was bereits da ist: unsere Geschichte, unsere Themen, unsere Stimme. Denn die eigene fotografische Identität ist kein Wettbewerb, sondern ein Weg.

Und auf diesem Weg geht es nicht darum, schneller oder besser zu sein – sondern wahrer.

Der Stil von Steve McCurry ist nicht „besser“ als der von Alec Soth – er ist anders.

Weil er aus einem anderen Blick auf die Welt entsteht. Und genau das macht beide wertvoll.

In der visuellen Erzählung, geht es immer auch um die Frage:

Was sehe ich – das andere übersehen? Was fühle ich – das andere nicht fühlen?

Diese Fragen führen zur Unverwechselbarkeit. Nicht Likes, nicht Technik, nicht Trends.

Raus aus der Vergleichsfalle

Wenn du merkst, dass du dich im Vergleich verlierst, stell dir diese Gegenfragen:

  • Was sehe ich, was andere nicht sehen – weil es mich persönlich betrifft?

  • Welche Geschichte kann nur ich erzählen?

  • Wenn ich nie ein Bild veröffentlichen dürfte: Was würde ich trotzdem fotografieren?

Diese Fragen helfen dir, den Fokus zu verschieben: weg vom Außen, hin zum Innen.

Denn nur da kannst du deine echte, unverwechselbare Stimme finden.

Deine Aufgabe ist nicht, besser als andere zu sein.

Deine Aufgabe ist, ehrlicher mit dir selbst zu sein als gestern.

Vergleich ist laut – aber deine eigene Stimme flüstert. Du musst nur still genug werden, um sie zu hören.

Die Form findet sich, wenn der Inhalt stark ist

Viele Kreative suchen lange nach einem „Stil“ – nach einer wiedererkennbaren Handschrift, einem Look, der ihre Bilder besonders macht. Manche glauben, sie müssten ihn zuerst finden, bevor sie sich überhaupt zeigen oder Projekte umsetzen dürfen. Doch in Wahrheit ist es oft genau umgekehrt:

Der Stil ergibt sich aus dem Inhalt.

Wenn du etwas zu sagen hast, wird sich die Form darum legen wie eine Haut um einen Körper. Nicht weil du sie bewusst suchst, sondern weil sie organisch aus deinem Blick auf die Welt entsteht.

„Der Inhalt bestimmt die Dramaturgie – nicht andersherum.“

Diese Erkenntnis ist zentral.

Sie befreit dich von der Last, zuerst ein visuelles „Konzept“ zu brauchen. Du darfst suchen. Du darfst experimentieren.

Was zählt, ist, dass du dich deinem Thema mit Neugier und Wahrhaftigkeit näherst.

Technische Mittel als Ausdruck – nicht als Selbstzweck

Natürlich sind Komposition, Lichtführung, Brennweitenwahl und Bildsprache wichtig. Aber sie sind Werkzeuge, keine Ziele. Wenn du weißt, worum es dir geht, wirst du automatisch danach greifen, was passt. Nicht andersherum.

Das erklärt auch, warum erfahrene Fotograf:innen so unterschiedlich arbeiten – obwohl sie die gleichen Werkzeuge haben. Der entscheidende Unterschied liegt nicht in der Kamera – sondern in dem, was sie bewegt.

„Ein Bild mit Bedeutung wirkt auch dann, wenn es technisch nicht perfekt ist. Aber ein perfektes Bild ohne Bedeutung wird schnell vergessen.“

Intuition schlägt Rezept

Der Wunsch nach Regeln, Rezepten und visuellen Erfolgsformeln ist verständlich – besonders am Anfang. Aber echte visuelle Erzählung braucht Intuition. Und die wächst mit Erfahrung, aber auch mit innerer Klarheit.

Wenn du weißt, was du sagen willst, wirst du spüren, wie du es sagen musst. Und selbst wenn es sich anfangs nicht „richtig“ oder „schön“ anfühlt: Es wird ehrlich sein. Und das ist unendlich viel wertvoller als ein perfekt gestylter Look.

Stil ist keine Entscheidung – er ist eine Folge.

Wenn du deinem Thema vertraust, wird es dir zeigen, wie es erzählt werden will.

Form folgt Bedeutung. Immer.

Konkrete Impulse für deine kreative Identität

Inspiration ist wichtig – aber ohne Struktur bleibt sie oft flüchtig. Deshalb ist es hilfreich, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um bewusst über die eigene fotografische Identität nachzudenken.

Nicht im Sinne eines „Brandings“, sondern als kreative Selbstklärung:

  • Wer bin ich?

  • Was sehe ich?

  • Was will ich zeigen?

Die folgenden Fragen und Gedanken sind keine Checkliste, sondern ein Werkzeugkasten – entstanden aus praktischer Erfahrung visueller Erzähler, die ihre Bildsprache von innen nach außen entwickelt haben.

Nutze sie als Einladung zur Reflexion – in stillen Momenten, beim Durchsehen deines Archivs oder als Auftakt für ein neues Projekt.

Welche Bilder berühren dich – und warum?

Statt dich zu fragen, welche deiner Fotos bei anderen gut angekommen sind, schau dir an, welche dich selbst berühren. Vielleicht sind es technisch unspektakuläre Aufnahmen. Aber vielleicht steckt darin ein Gefühl, ein Geruch, ein Satz, den dir jemand gesagt hat.

Das ist dein Gold.

„Mit jeder einzelnen Bildserie formen wir die Wahrnehmung unseres Lebens.“

Stell dir beim Betrachten deines Archivs folgende Fragen:

  • Welche Bilder schaue ich immer wieder an?

  • Welche transportieren ein Gefühl, statt nur ein Motiv?

  • Wo steckt eine Geschichte, auch wenn ich sie nie bewusst erzählt habe?

Gibt es Motive oder Themen, zu denen du immer wieder zurückkehrst?

Manchmal zeigt sich dein fotografischer Kompass nicht in großen Entscheidungen – sondern in stillen Wiederholungen. Vielleicht fotografierst du immer wieder bestimmte Lichtstimmungen. Oder beobachtest Menschen bei der Arbeit. Oder dokumentierst stille Alltagsrituale.

Das sind keine Zufälle. Das ist dein Unterbewusstsein, das dir sagt: Hier sehe ich etwas.

Mach dir bewusst:

  • Welche Themen verfolgen mich – auch wenn ich es nicht geplant habe?

  • Gibt es eine bestimmte Art von Nähe oder Distanz, die sich durch meine Fotos zieht?

  • Welche Fragen trage ich mit, auch wenn ich sie nie laut gestellt habe?

  • Welche Emotionen willst du beim Betrachter wecken?

Gute Fotografie ist nicht nur eine visuelle Disziplin – sie ist eine emotionale.

Überleg dir: Was soll dein Bild im Gegenüber auslösen?

  • Staunen?

  • Mitgefühl?

  • Nachdenklichkeit?

  • Wärme?

  • Einsamkeit?

  • Irritation?

Ein einziger Fokus genügt. Wenn du nur eine Emotion ehrlich transportierst, kann ein Bild mehr bewirken als hundert „perfekte“ Aufnahmen.

„Glatt ist unglaubwürdig. Storys brauchen Ecken und Kanten.“

Was fehlt dir in der Fotografie, die du konsumierst – und könntest du es einbringen?

Diese Frage ist besonders kraftvoll. Denn sie verbindet Beobachtung mit Verantwortung.

Vielleicht siehst du überall Hochglanzbilder – und sehnst dich nach Unordnung. Vielleicht fehlt dir Humor, leise Trauer oder das Banale. Dann ist es kein Zeichen von Schwäche, dass dich andere Ästhetiken nicht ansprechen. Es ist ein Hinweis: Du hast etwas beizutragen.

Frage dich:

  • Was vermisse ich in den Bildern, die ich sehe?

  • Was würde ich gerne sehen – und warum mache ich es nicht selbst?

  • Was kann ich zeigen, das andere übersehen?

Nutze Langzeitbeobachtung

Wenn du gerade keine konkrete Antwort auf all diese Fragen hast: Fang trotzdem an.

Erstelle einen digitalen oder analogen Ordner mit dem Titel „Ich“ oder „Dinge, die mich berühren“.

Sammle dort deine eigenen Bilder, fremde Werke, Textzeilen, Farben, Gesten – alles, was dich bewegt.

Mit der Zeit wird sich ein Muster zeigen. Und dieses Muster ist deine Sprache.

Fotografische Identität ist kein Ziel – sondern ein Prozess des Wiedererkennens. Wenn du achtsam hinsiehst, wirst du entdecken, dass deine Stimme längst da ist. Du musst ihr nur zuhören – und ihr vertrauen.

Die Reise beginnt in dir Die Entwicklung einer eigenen Bildsprache ist kein Sprint. Sie ist auch kein Wettbewerb. Sie ist eine Lebensreise – und sie beginnt nicht mit der perfekten Kamera oder dem besten YouTube-Tutorial. Sie beginnt mit dem Mut, nach innen zu schauen.

Mit der Bereitschaft, dich zu fragen:

  • Was berührt mich?

  • Was bewegt mich?

  • Was will ich festhalten – nicht, weil es spektakulär ist, sondern weil es mir gehört?

Diese Fragen sind nicht nur der Anfang künstlerischer Identität. Sie sind auch der Anfang von etwas Tieferem: einer echten Verbindung zu deiner Arbeit. Und wenn du diese Verbindung pflegst, wird sie dich durch alles tragen – durch Phasen des Zweifels, der Stille, der Kritik und der Reizüberflutung.

Es ist okay, suchend zu sein

Du musst nicht gleich wissen, wer du bist als Fotograf:in. Es reicht, neugierig zu sein. Offen. Und ehrlich mit dir selbst. Du darfst unfertig sein. Roh. Leise.

Denn oft sind genau das die Phasen, in denen sich deine Stimme zu formen beginnt – unauffällig, aber kraftvoll.

„Du bist nicht der Knipser, sondern der Erzähler.“

Autorschaft entsteht nicht über Nacht. Sie wächst mit jedem Bild, das du aus Überzeugung machst. Mit jedem Thema, das dich nicht loslässt. Mit jedem Moment, in dem du deine Kamera als Werkzeug benutzt, um etwas zu sagen – nicht nur zu zeigen.

Deine Stimme ist schon da.

Vielleicht fühlst du sie noch nicht. Vielleicht ist sie leise. Vielleicht zweifelst du an ihr. Aber sie ist da. In den Bildern, die du immer wieder machst. In den Themen, die dich nicht loslassen. In den Blicken, die du festhältst, obwohl sie niemand versteht – außer dir.

Deine Stimme will nicht perfekt sein. Sie will authentisch sein. Und das ist genug.

Hab keine Angst davor, ehrlich zu sein.

Deine Zweifel, deine Ecken, deine Unfertigkeit – all das macht deine Sprache einzigartig.

Die Reise beginnt in dir. Und jeder Klick ist ein Schritt.

Mach ihn bewusst.

Und geh weiter.

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Gregory Crewdson: Die Ergründung des Abgründigen im Alltäglichen