Wenn du weißt, was du tust, wiederholst du dich. Wahre Fotografie entsteht, wenn du nicht weißt, was als nächstes kommt.
— Trent Parke

Fotografie ist immer eine Gratwanderung zwischen Kontrolle und Chaos – zwischen Methode und Intuition. Besonders in der Street- und Reportagefotografie, wo sich das Leben oft in einem einzigen Moment für den Bruchteil einer Sekunde manifestiert, stehen wir als Fotografen vor der Frage: Soll man den Moment planen oder sich einfach treiben lassen?

In diesem Artikel geht es um genau diese beiden Pole, um herauszufinden, wie sie sich in der Praxis kombinieren lassen.

Denn was führt wirklich zu den besten Bildern?

Ist es die akribische Vorbereitung oder die Fähigkeit, sich von der Spontaneität leiten zu lassen?

Die Kunst der Vorbereitung

Für manche Fotografen ist die Vorbereitung der Schlüssel zum Erfolg.

Sie planen jedes Detail: die Lichtverhältnisse, die Bewegungen der Menschen, die soziale Dynamik eines Ortes.

Sie wissen, welche Brennweite die beste ist und wie sie sich auf der Straße positionieren müssen, um die gewünschte Geschichte zu erzählen.

Sebastião Salgado ist ein wunderbares Beispiel für diesen methodischen Ansatz.

Seine Langzeitprojekte sind das Ergebnis sorgfältiger Planung und eines klaren Erzählkonzepts.

Diese Herangehensweise ermöglicht eine präzise Umsetzung der fotografischen Vision.

Eine gewisse Struktur in der Fotografie ist wichtig, um sich nicht in hektischen Momenten zu verlieren. Struktur sollte aber immer auch Raum für Kreativität lassen.

Die Herausforderung bei der Planung ist, dass sie zu einem Tunnelblick führen kann – man sieht nur noch das, was man sich vorgenommen hat und verliert die offenen, spontanen Momente aus den Augen.

Der Reiz des Spontanen

Im Gegensatz dazu steht die spontane Fotografie, die auf Intuition und Zufall beruht. Fotografen wie Daido Moriyama sind dafür bekannt, sich durch die Straßen treiben zu lassen, ganz im Moment zu leben und mit Intuition und Reaktionsschnelligkeit zu arbeiten. Ihre Bilder sind oft rau und authentisch, sie tragen die Energie des Augenblicks in sich.

Spontaneität ist also eine große Quelle der Inspiration, kann aber auch frustrierend sein.

Manchmal entsteht nichts, was uns zufriedenstellt, aber in anderen Momenten entstehen fantastische, unerwartete Bilder.

Technik als Werkzeug, nicht als Fessel

Ein wichtiger Punkt, der sowohl für die Planung als auch für die Spontaneität gilt, ist die Technik.

Sie sollte uns nicht einschränken, sondern unterstützen.

Fotografen wie Alex Webb sind Meister darin, mit komplexen Licht- und Farbkompositionen scheinbar zufällige Momente in kunstvolle Bilder zu verwandeln. Doch hinter diesen Bildern stecken jahrelange Erfahrung und technisches Können.

Die Technik darf aber nie zum Selbstzweck werden.

Sie soll nicht das Bild kontrollieren, sondern uns helfen, die Geschichte zu erzählen.

Manchmal erzählt ein leicht verwackeltes Bild mehr als ein scharfes.

Die Balance zwischen Kontrolle und Chaos

Bei der Balance zwischen Planung und Spontaneität gibt es kein richtig oder falsch.

Die besten Fotografen beherrschen beide Disziplinen: Sie können genau planen, wenn es nötig ist, und ebenso schnell improvisieren, wenn der Moment es erfordert.

„Man kann sich vorbereiten, aber man kann das Leben nicht zwingen, sich an seinen Plan zu halten.“ Elliott Erwitt

„Wenn man auf die Straße geht und einfach wartet, verpasst man oft das Beste. Aber wenn du weißt, wonach du suchst, bist du immer bereit.“ Joel Meyerowitz

„Wenn du weißt, was du tust, wiederholst du dich. Wahre Fotografie entsteht, wenn du nicht weißt, was als nächstes kommt.” Trent Parke

Diese unterschiedlichen Perspektiven zeigen, wie wichtig es ist, eine Balance zu finden:

Struktur gibt Sicherheit, aber die wahre Magie entsteht oft dann, wenn wir uns von der Struktur lösen.

Praktische Beispiele für die Balance in der Straßenfotografie

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, spontan in der Straßenfotografie zu arbeiten.

Hier sind einige Beispiele, die dir helfen, die Balance zwischen Methode und Intuition zu finden:

  • Intuitiv fotografieren: Gehe auf die Straße und fotografiere ohne viel nachzudenken. Komposition, Perspektive und technische Einstellungen sind zweitrangig - konzentriere dich nur auf das Motiv. Schaue, welche Szenen dich emotional berühren und drücke auf den Auslöser. Analysiere später, was du fotografiert hast: Welche Momente haben dein Interesse geweckt? Welche Gefühle hast du eingefangen? So kannst du langsam ein besseres Verständnis für dein eigenes visuelles Interesse entwickeln.

  • Manueller Modus: Schalte deine Kamera in den manuellen Modus, wähle eine offene Blende und fokussiere aus nächster Nähe. Diese Methode zwingt dich, intuitiv zu reagieren und gibt dir gleichzeitig die Freiheit, die Atmosphäre und Stimmung der Straße einzufangen. Vergleiche diese Herangehensweise mit dem Impressionismus in der Malerei: Hier ging es nicht darum, präzise Details abzubilden, sondern das Gefühl des Augenblicks einzufangen. Diese „unscharfen“, emotionalen Bilder erzählen eine andere, vielleicht tiefere Geschichte.

  • Konzentriere dich auf Details: Statt Menschen oder weite Szenen zu fotografieren, konzentriere dich auf Details: ein Paar Hände, die sich in einer Menschenmenge berühren, die Spiegelung einer Person in einem Fenster oder die Bewegung eines Kleidungsstücks im Wind. Diese „kleinen“ Momente können oft genauso viel aussagen wie ein ganzes Bild. Diese Herangehensweise erfordert Vertrauen in die eigene Intuition und die Fähigkeit, im Moment präsent zu sein.

  • Abstraktion durch Bewegung: Experimentiere mit langen Belichtungszeiten und der Bewegung der Kamera. Wenn du eine Straße oder eine belebte Szene fotografierst, versuche, die Bewegung der Menschen oder Fahrzeuge als Teil der Komposition einzufangen. Diese Herangehensweise lässt sich gut mit Spontaneität kombinieren, da du schnell reagieren und gleichzeitig kreative Elemente der Bewegung im Bild umsetzen musst.

  • Reagiere auf Licht und Schatten: Manchmal ist es das Spiel von Licht und Schatten, das ein Bild interessant macht. Experimentiere mit verschiedenen Lichtquellen und dem Schattenwurf. Lass Formen und Kontraste das Bild bestimmen und reagiere auf das, was du siehst - ohne die Szene unbedingt zu inszenieren. Diese Herangehensweise lässt sich wunderbar mit der Spontaneität der Straßenfotografie kombinieren.

Fazit: Planung oder Spontaneität?

Wie man sieht, ist die Antwort auf diese Frage nicht schwarz oder weiß. Es geht nicht um Planung oder Spontaneität, sondern um die Kunst, beides zu kombinieren. Du kannst die Struktur und Sicherheit einer durchdachten Vorbereitung nutzen, aber du musst auch bereit sein, dich von unvorhersehbaren Momenten überraschen zu lassen.

Die besten Fotografen beherrschen beide Seiten - sie wissen, wann sie planen und wann sie sich dem Moment hingeben müssen. Experimentiere mit diesen Ansätzen und finde deine eigene Balance zwischen Kontrolle und Chaos.

Denn wie Henri Cartier-Bresson sagte: „Deine ersten 10.000 Fotos sind deine schlechtesten.“

Es braucht Zeit und Übung, um herauszufinden, wann man loslassen und wann man die Kontrolle übernehmen muss.

Wichtige Punkte

  • Spontaneität: Reagiere auf das Unerwartete und sei offen für die Energie des Augenblicks.

  • Planung: Bereite dich vor, aber lasse Raum für kreative Entscheidungen.

  • Technik als Unterstützung: Nutze die Technik, um den Moment einzufangen, aber lass dich nicht von ihr gefangen nehmen.

  • Impressionistische Herangehensweise: Konzentriere dich auf Stimmungen und Details statt auf perfekte Kompositionen.

  • Experimentiere: Suche neue Wege, um spontan zu arbeiten und reflektiere später, was du gelernt hast.

Aufgabe

Bei der letzten Aufgabe ging es darum, fotografische Glaubenssätze auf den Kopf zu stellen.

Diesmal geht es darum, deine intuitive Seite in der Straßenfotografie zu erforschen und zu entwickeln.

Wähle einen Punkt aus den oben genannten Beispielen.

Oder entwickle deine eigenen Methoden und Strategien, um mehr auf deinen Bauch als auf deinen Kopf zu hören.

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